Jochen Schuchardt, bildwerkk, zu den Erfahrungen und Lösungen für Gräben zwischen Entschlüssen und Ausführungen.

1. Herr Schuchardt, was bedeutet „Crossing the Knowing-Doing Gaps“ und wer sollte sich mit diesem Thema beschäftigen?

Peter F. Drucker hat einmal gesagt: „Was alle Erfolgreichen miteinander verbindet, ist die Fähigkeit, den Graben zwischen Entschluss und Ausführung äußerst schmal zu halten.“ Dieses Zitat umschreibt recht gut, was wir mit „Crossing the Knowing-Doing Gap“ meinen. Wir beobachten eine Lücke zwischen dem Wissen, dem Entschluss und der Umsetzung. Anders ist es kaum zu erklären, dass 50% aller Strategieimplementierungen scheitern oder 70% aller Veränderungsprojekte hinter den Erwartungen zurückbleiben.
Wir meinen, dass das Thema „Crossing the Knowing-Doing Gap“ für all diejenigen von Interesse ist, die ihre Zeit und Budgets nicht in tiefgreifende Analysen und aufwändige Managementpräsentationen investieren, sondern die Veränderungen und Projekte wirksam umsetzen wollen.

2. Wann und wie sind Sie auf die Idee gekommen, aus der Diskrepanz zwischen vorhandenem und angewandtem Wissen eine Methode für die Praxis zu entwickeln?

Seit fast 20 Jahren begleiten wir Unternehmen bei organisatorischen und technologischen Veränderungsvorhaben. Trends, Strategien, Innovationen kommen und gehen. Eines stellt sich aber seit jeher als die eigentliche Herausforderung heraus – die Integration der Veränderung in das Unternehmen und das „Buy-in“ aller Beteiligten. Die nach unserer Erfahrung her absolut zeitlosen Kernfragen sind:

• Wie bekommen wir gewünschte Veränderungen umgesetzt, damit sie die beabsichtigte Wirkung zeigen?

• Wie erzielen wir die gewünschte Nachhaltigkeit der Veränderung?

• Wie kommt die Veränderung nicht nur auf das Papier, sondern wird auch für die Menschen im positiven Sinne spürbar?

Und schauen wir in unser bisheriges Projektportfolio, dann lag der Fokus unserer Arbeit bisher stets auf diesen zeitlosen Kernfragen und auf dem Überwinden von Knowing-Doing Gaps – auch wenn dies natürlich in den letzten Jahren niemand so nannte. Da sehen wir den eigentlichen Erfolgshebel für gelungene Veränderungen und Projekterfolge und deshalb möchten wir dieses Thema Knowing-Doing Gaps weiterentwickeln und operationalisieren.

3. Im Idealfall haben Unternehmen ihre Strategien/Ziele geplant und sie in Projekten konkretisiert. Wie identifizieren Sie bei der Planung und Umsetzung der Strategie „Knowing-Doing Gaps“?

Das ist tatsächlich der Idealfall – aus Strategien und Zielen werden Projekte und Maßnahmen abgeleitet und umgesetzt. In der Praxis gelingt dieser letzte Schritt der Umsetzung aber viel zu oft nicht konsequent.

Wir sehen, dass Knowing-Doing Gaps dort auftreten, wo die sog. horizontale und/oder vertikale Integration nicht bewusst gestaltet wurde.

Was meinen Sie damit?

In Anlehnung an das St. Gallener Managementmodell haben wir ein sog. «Haus der unternehmerischen Umsetzungskompetenz» entworfen, das aus drei bzw. vier wesentlichen vertikalen Ebenen besteht: Neben einer normativen Ebene gibt es in jedem Unternehmen eine daraus abgeleitete strategische und eine operative Ebene. Und diese drei Ebenen sind idealerweise auf eine gemeinsame unternehmerische Vision oder kollektive Identität ausgerichtet. Darüber hinaus sind auf jeder Ebene horizontal Strukturen zu schaffen, die konkrete Aktivitäten bzw. die eigentliche Wertschöpfung unterstützen. Und diese Aktivitäten werden von Menschen verantwortet und ihrem Verhalten sowie individuellen Umsetzungskompetenz geprägt.
Knowing-Doing Gaps entstehen nach unserer Meinung immer dort, wo die Strukturen, Aktivitäten und das Verhalten nicht ineinandergreifen (Horizontale Integration) und wo eine Verbindung zwischen über- und untergeordneten Ebene schlicht fehlt (Vertikale Integration). Wenn sich also aus einer Mission keine Strategien mit entsprechenden Projekten ableiten lassen, werden ebenso Knowing-Doing Gaps „geschaufelt“ wie durch ein Leitbild, das bestimmte Führungsgrundsätze festschreibt, die von den Führungskräften in ihrem Handeln aber konterkariert werden. Und auch Vertriebsstrategien, die von den Prozessen und IT-Systemen nicht unterstützt werden können, führen zu tiefen Knowing-Doing Gaps.
Die Identifikation von Knowing-Doing Gaps ist meist nicht trivial, weil die Ursachen für Gaps auf allen Ebenen eines Unternehmens liegen können. Deshalb hat sich eine systemische Sicht auf das „System Unternehmen“ als hilfreich erwiesen.

4. Wo liegen die Schwerpunkte bzw. welche Herausforderungen gilt es zu meistern, um Knowing-Doing Gaps  zu vermeiden?

Neben dem ganzheitlichen Blick auf das Unternehmen ist zur Identifikation und Überwindung von Knowing-Doing Gaps noch ein weiterer Schwerpunkt relevant. So paart sich nach unserem Verständnis zur unternehmerischen auch die individuelle Umsetzungskompetenz eines jeden Mitarbeiters. Deshalb lohnt auch hier ein gemeinsamer Blick mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf dieses Kompetenzfeld, wenn es darum geht, aus Wissen und Entschluss erfolgreiches Handeln zu machen.

Hier stehen dann grundlegende Fragen im Vordergrund, z.B., ob das persönliche Wertesystem zu dem des Unternehmens passt? Gibt es hier z.B. einen massiven Unterschied, werden die Menschen sich nicht im Sinne des Unternehmens einbringen. Daneben ist z.B. auch das Thema Selbststeuerung von großer Bedeutung. Sind die Menschen im Unternehmen in der Lage, Motive und Ziele in Handlungen umzusetzen, auch wenn diese in Teilen den eigenen Motiven entgegenstehen? Dies ist ab und zu notwendig, um erforderliche Resultate zu erzielen. Diese individuellen Umsetzungskompetenzen lassen sich durch Training, Coaching und kollegiale Beratung ausbauen – ein wichtiger Schritt zur Überwindung von Knowing-Doing Gaps.

5. Gibt es Unterschiede in der Vorgehensweise „Knowing-Doing Gaps“ auf der strategischen, taktischen und operativen Ebene zu identifizieren?

Die Vorgehensweise und die Methoden, Knowing-Doing Gaps zu identifizieren, sind grundsätzlich unabhängig von der Ebene. Wir sehen Unterschiede allerdings bei den einzubindenden Stakeholdern und in der Interaktion mit diesen Stakeholdern. Typischerweise versuchen wir mit der Arbeit Top-down und Bottom-up zu starten, um am Ende dann Stakeholder aller Ebenen gemeinsam zusammenzubringen und die Knowing-Doing Gap-Identifikation und Auflösung voranzutreiben.
Und sicher gibt es einen wesentlichen Punkt, den es bei der Identifikation und Auflösung von Knowing-Doing Gaps zu adressieren gilt: die Ermutigung der Stakeholder gerade auf der operativen Ebene. Dass ihre Eindrücke, Vorschläge und Intuitionen Wirkung zeigen.

6. Auf der operativen Ebene findet hauptsächlich das Doing statt, dabei entsteht kontinuierlich viel Wissen. Welche Mechanismen empfehlen Sie, um das Wissen von der operativen Ebene in die Ziele und Strategien des Unternehmens Bottom-up zu berücksichtigen?

Wissen entsteht nach unserem Verständnis und gemäß unserem «Haus der unternehmerischen Umsetzungskompetenz» auf allen Ebenen aus dem Zusammenspiel von Strukturen, Aktivitäten und Verhalten. Und es ist tatsächlich eine ganz wesentliche Herausforderung, das Wissen von der operativen Ebene wieder auf die strategische und im Endeffekt auch auf die normative Ebene zurückfließen zu lassen. Um den Rückfluss und vor allem die Vernetzung des Wissens über alle Ebenen sicherzustellen, spielt die Unternehmenskultur eine ganz wesentliche Rolle. Aber wir sehen hier auch ganz konkrete dialogorientierte Maßnahmen in kleinen und großen Gruppen als wesentliche Instrumente an, die regelmäßig zur Anwendung kommen sollten.

7. Unserer Erfahrung nach nimmt die Dynamik am Markt in den letzten Jahren in den verschiedensten Branchen stetig zu und die Komplexitäten und Anforderungen im Unternehmen erhöhen sich dadurch. Sehen Sie zunehmenden Komplexitäten als Treiber für „Knowing-Doing Gaps“? Bzw. welche typischen Treiber kennen Sie aus Ihrer Praxis?

Wir sehen auch, dass die Komplexität in allen Branchen, in allen Themen, für alle Unternehmensgrößen steigt. Oft sind unternehmerische Strukturen, Aufgaben und das Verhalten darauf noch nicht eingestellt und laufen dem Veränderungsdruck hinterher. Dabei beobachten wir auch immer wieder, dass die einzelnen Ebenen und Gestaltungsfelder in Unternehmen unterschiedlich stark entwickelt sind. Aus unserer Sicht sind die wesentlichen Treiber für das Auftreten von Knowing-Doing Gaps die fehlende Integrationsleistung im Unternehmen über die Managementebenen hinweg, die Vernachlässigung der individuellen (Umsetzungs-)kompetenz und schließlich die fehlende Vernetzung von Individuum und Unternehmen.

8. Bisher haben wir über die Identifizierung von „Knowing-Doing Gaps“ gesprochen. Welche Lösungen haben sich in der Praxis bewährt die Gaps zu reduzieren bzw. zu beseitigen, um das „Crossing“ (Überbrücken) sicherzustellen?

Die Auflösung bestehender oder die Vermeidung von zukünftigen Knowing-Doing Gaps hat viel mit den Themen Führung, Kommunikation und Kultur zu tun. Generell scheint es uns aus strukturellen Gesichtspunkten wichtig, Erfahrung und Seniorität mit einer unternehmerischen Neugierde auf allen Ebenen des Unternehmens bei den handelnden Personen zu verankern. Das heißt die Vorzüge des Familienunternehmens mit denen eines Start-Ups zu kombinieren, was sowohl Entscheidungen als auch die Neugierde am Neuen möglich machen soll. Aber gerade die Entscheidungsfindung und die Entscheidungsdurchsetzung sind wichtige Stellschrauben gegen Knowing-Doing Gaps. Aber auch Kommunikationsregeln, manchmal auch ganz triviale, bieten verblüffende Lösungen, um Knowing-Doing Gaps direkt zu überbrücken. Kein Meeting ohne vereinbarte Maßnahmen, die nachgehalten werden. Keine Entscheidung ohne Dokumentation und Kommunikation. Was am Anfang nach reinem Formalismus anmutet, kann in der Praxis durch entsprechende visuelle Inszenierungen oder durch den Einsatz von Social Media auch sehr lebendig gestaltet werden.
Schließlich sind die Reduktion von Komplexität in der „Unternehmenssprache“ sowie die Stärkung der Eindeutigkeit von Kommunikation weitere Ansatzpunkte gegen Knowing-Doing Gaps.

9. Wie gehen Sie mit einem „Knowing-Gap“ um, die das Unternehmen selbst vielleicht gar nicht als solche einschätzt?

Wie geht ein Arzt damit um, wenn ein Patient die Diagnose und den Therapievorschlag nicht akzeptiert? Meist wird dieser Patient weitere Ärzte, Bekannte und heutzutage auch das Internet befragen, um die Aussagen des Arztes zu bestätigen oder zu widerlegen. Einen ähnlichen Ansatz nutzen wir in Unternehmen. Hier braucht es die breite Einbindung von wesentlichen Stakeholdern, die ihre Einschätzungen und Meinungen einbringen.
In unserem Ärztevergleich bedeutet es aber auch: Wenn ein Patient – auch nach Einholen anderer Meinungen und Erkundigungen – immer noch nicht akzeptieren will, dass es ein Problem gibt, dann kann man ihn auch mit den besten Argumenten nicht überzeugen. Übertragen auf Unternehmen sehen wir das ebenso: Entweder sind sich Entscheider bewusst, dass sie ein Knowing-Doing Gap oder auch ein „Knowing-Gap“ haben und wollen dieses überwinden – dann sind sie auch bereit, alles dafür zu tun oder eben nicht. Und wenn sie ein Knowing-Doing Gap nicht wahrhaben wollen, dann ist das auch eine Entscheidung, die es zu akzeptieren gilt. In diesen Fällen sollte man aber auch nochmal selbstkritisch auf die eigene Arbeit als externer Berater schauen, denn ein nicht aufzulösender Widerstand kann auch ein Hinweis sein, dass man z.B. zu schnell vorgegangen ist, oder etwas Wichtiges übersehen hat.

10. Was ist Ihre Prognose für die nächsten Jahren, wie das Thema Mobilisierung und Change-Management allgemein im Markt nachgefragt und integriert wird?

Wenn wir schauen, dass sich bei Amazon heute alleine knapp 4.000 deutschsprachige und über 7.000 fremdsprachige Titel zum Thema Change Management finden lassen, ist dies für uns ein eindeutiges Indiz, dass Change Management am Markt schon heute massiv nachgefragt wird und Interesse findet. Dies wird sicher auch so weitergehen und noch stärker zur wettbewerbsentscheidenden Unternehmenskompetenz werden – wie es heute bei Projektmanagement bereits der Fall ist. Wie integrieren Unternehmen bei weiter steigender Umsetzungs- und Lösungskomplexität sowie kürzer werdenden Halbwertszeiten von Strategien die Verankerung von Veränderungen, ohne die PS auf der Straße zu verlieren? Dieser Frage müssen sich alle Unternehmen stellen, und deshalb denken wir, dass das Thema Change und Mobilisierung weiterhin auf der Agenda stehen wird.