Hans-Jörg Vohl, Project Management Partners, über die besonderen Herausforderungen und Möglichkeiten der Verwendung von Balanced Scorecards im Mittelstand.

1. Herr Vohl, was war für Sie der Anlass, sich mit der Thematik BSC im Mittelstand in Theorie und Praxis vertieft auseinanderzusetzen? Welche Verbindung haben Sie zum Mittelstand?

Ich komme selbst aus dem Mittelstand, und zwar über meine Familie väterlicherseits, die seit mehr als 250 Jahren eines der ältesten Unternehmen in Bayern führt. Dadurch lernte ich früh und in wirklich allen Facetten die Herausforderungen eines mittelständischen Betriebs kennen.
Der Anlass für das Thema Balanced Scorecard in meiner Praxis als Unternehmensberater war ein Neukunde auf der Suche nach einem wirksamen und nachhaltigen Steuerungsinstrument. Das Unternehmen kam bis dato ohne definierte Vision und Strategie aus. Im ersten Schritt haben wir eine Vision mit den Gesellschaftern und den Geschäftsführern ausgearbeitet. Danach haben wir uns daran gemacht die Umsetzung der Leitziele mit den Mitarbeitern zu planen. Hier war BSC eine hervorragende Hilfe. Weil die Mitarbeiter von Anfang an eingebunden wurden, entstand bei der weiteren „Operationalisierung“ der BSC sehr viel Energie und Begeisterung. Als ich anfing, mich vor ca. 18 Jahren mit der BSC-Thematik intensiver auseinanderzusetzen, hatte ich selber Bedenken, ob eine BSC in der Praxis erfolgreich eingesetzt werden kann. Die Bestätigung kam quasi unmittelbar durch dieses Kundenprojekt und motivierte mich, das Thema BSC weiterzuverfolgen und später meine Erfahrungen und mein Wissen in einem Buch zu veröffentlichen.

2. Für Geschäftsführer bzw. das Senior Management ist die Balanced Scorecard Methode ein seit vielen Jahren weit verbreitetes Instrument zur Strategie-Implementierung. Was ist für Sie der zentrale konzeptionelle Ansatz der BSC Methode?

Zunächst einmal ist eine Balanced Scorecard in ihren einzelnen Bestandteilen nichts Neues. Der Kern ist das Verbinden von erfolgreichen Elementen zu einem Konzept. Im Vordergrund stehen dabei die Beteiligung der Mitarbeiter, die konzeptionelle Klarheit und Übersicht sowie die Fokussierung auf das Wesentliche und die Offenlegung von Kausalitäten. Das alles reduziert Komplexität und macht die Wirksamkeit einer BSC aus.

3. Was macht die BSC in der Praxis so erfolgreich?

Der große Vorteil der BSC ist ihre konzeptionelle Klarheit unter Berücksichtigung der gesamten Organisation und der Individualität einzelner Menschen bei der trotzdem das Ziel nicht aus den Augen verloren wird. Die Methodik der BSC berücksichtigt verschiedene Perspektiven, dabei vereinigt und visualisiert sie Methodik und Veränderungsmanagement sehr bildhaft. Das alles ist vergleichbar mit einer Scorecard beim Golf, die auf einer Seite Ergebnisse, Status und Bewertungen anzeigt. Daher auch das Wort „Scorecard“, der Namensbestandteil „Balanced“ steht für den Ausgleich von Perspektiven und Zielen. Der große Nutzen einer BSC liegt in den Verbindungen der Vision über die Strategie bis hin zu einzelnen Zielen und Maßnahmen. Erfolgreich wird eine BSC aber erst dann, wenn über das gemeinsame Ausarbeiten der BSC ein entsprechendes Verständnis bei den Mitarbeitern entsteht und die BSC dann gemeinsam umgesetzt werden kann.

4. Welche konkurrierenden Methoden verwendet der Mittelstand und wo liegt der entscheidende Vorteil der BSC?

Es gibt viele einzelne Elemente, wie z.B. niedergeschriebene Visionen, Leistungskennzahlen aus dem Controlling oder Strategien, die in Management Workshops erarbeitet wurden. Sie alle zeigen aber nicht die Kausalitäten und Abhängigkeiten auf und bleiben dadurch Stückwerk.
Traditionell ist im Mittelstand der Unternehmer gleichzeitig der Visionär, der Stratege und der Chef-Umsetzer in Personalunion. Ihm gelingt es auch in der Regel, die Menschen mitzunehmen und für das Unternehmen zu begeistern. Wenn das Unternehmen stark wächst oder eine Unternehmensnachfolge ansteht, dann funktioniert allerdings das klassische Führungsprinzip im Mittelstand häufig nicht mehr. In solchen Phasen müssen Entscheidungsbefugnisse delegiert werden und es braucht ein Zielsystem, welches die Menschen zur richtigen Entscheidung im Sinne der Strategie bewegt und den leidenschaftlichen Einsatz fördert.
Die Vorteile der BSC liegen darin, über entsprechende Verbindungen Strategisches mit Operativem und harte Faktoren mit weichen Faktoren zu kombinieren.

5. Klassische Dimensionen bei der BSC sind ja die Innovation-/Lernen-, Kunden-, Prozess- und Finanzperspektive – sind diese Dimensionen auch für den Mittelstand im Fokus? Worin unterscheiden sich deren BSCs typischerweise?

Andere Dimensionen, die u.a. in größeren Unternehmen eingesetzt werden, sind möglich. Ich persönlich halte die klassischen vier Perspektiven als wesentliche Elemente eines Unternehmens in den allermeisten Fällen für vollkommen ausreichend. Menschen, die in Prozessen Wertschöpfung für die Kunden erarbeiten und zufriedene Kunden, die sich in positiven Finanzen widerspiegeln.

6. Mit welchen Herausforderungen kämpft Ihrer Erfahrung nach insbesondere der Mittelstand bei der Einführung und fortlaufenden Umsetzung einer BSC? Wie gehen Sie dabei zielführend mit diesen Herausforderungen um?

Die größte Herausforderung ist zunächst der Name „Balanced Scorecard“ selbst. Auch wenn das Konzept bekannt ist, löst es häufig Abwehrreflexe aus. Übrigens am Anfang auch bei mir. Die Anglizismen, die teilwiese durch Unternehmensberater verbreitet werden, lösen Ablehnung im Mittelstand aus. Die Unternehmer fühlen sich selbst und ihr Geschäft vom Berater nicht verstanden. Es gab Versuche, die den Begriff einzudeutschen, was nicht gelungen ist. Wichtig ist daher die Erläuterung der BSC Methode, um den Mittelstand zu überzeugen.
Ein weiterer Punkt ist für den Mittelstand ganz typisch. Die Übernahme von Verantwortung. Der Unternehmer muss der Treiber für die Einführung, Umsetzung und Kontinuität der BSC sein und zugleich das Verständnis haben, Kompetenzen in der Umsetzung zu delegieren.

7. Welchen Unterschied sehen Sie in der BSC-Implementierung im Vergleich zu Großunternehmen? Was ist im Mittelstand vielleicht auch einfacher bzw. wirkungsvoller durch den Einsatz der BSC?

Positiv im Mittelstand sind die schnelleren Umsetzungszeiten im Vergleich zu großen Unternehmen. Da man dort aber Schnelligkeit gewohnt ist, werden teilweise kulturelle Veränderungen bei der Einführung einer BSC nicht berücksichtigt. Kultur zu verändern, ist nicht leicht, es braucht Zeit und Kapazitäten. Vielleicht weil die Mitarbeiter Veränderungen nicht gewohnt sind, vielleicht auch weil es der Unternehmer nicht gewohnt ist, Entscheidungskompetenzen zu delegieren.

8. Mit der Einführung einer BSC werden Ursache-Wirkungs-Beziehungen definiert und transparent gemacht. Ist dies heutzutage mit immer weiter steigender Komplexität noch genauso einfach wie vor 10 oder 20 Jahren?

BSC bedeutet Reduktion von Komplexität und Fokussierung auf das Wesentliche. Die Anzahl der Einflussfaktoren und Unsicherheiten drückt sich darin aus, dass man meist von Mitarbeitern und Prozessen viel Flexibilität abverlangt. Die Mitarbeiter müssen die Kundenbedürfnisse sehr genau kennen, gerade weil der Kunde in den letzten Jahren volatiler geworden ist.
Die Ursache-Wirkungs-Beziehungen sollten die Flexibilität von Mitarbeitern und Prozessen sowie die Kundenbedürfnisse abbilden und sich in Maßnahmen konkretisieren lassen. Somit ist die BSC auch eine Antwort auf eine flexiblere und komplexere Arbeitswelt. Dabei ist aber das Prinzip der Fokussierung nach wie vor sehr wichtig: „Twenty is plenty”. Maximal 20 Ziele, idealerweise 16 sollten definiert werden. Nicht alle können miteinander verbunden werden bzw. man sollte generell nicht versuchen, alles mit allem zu verbinden. Es geht vielmehr um die Darstellung der wesentlichen Kausalitäten.

9. Welche Trends erneuern oder verstärken die Chancen für Mittelständler im Kontext ihrer BSC? Haben Entwicklungen wie z.B. die Nutzung von eLearning, Big Data oder Social Media einen Einfluss darauf? Besteht das Risiko, dass ein Mittelständer sich stückweit in der Informationsflut an Big Data und Social Media verzettelt?

Was ich sehe ist, dass gleichermaßen in großen Unternehmen wie auch im Mittelstand die Mitarbeiter immer besser ausgebildet sind und die Quoten von Akademikern steigen. Sie möchten auch mehr Verantwortung übernehmen. Das kommt der BSC zugute, denn da geht es auch um Übernahme von Verantwortung und dezentrales Handeln im Sinne von gemeinsamen Zielen.
Bei Big Data, Social Media und e-Learning geht es um Wissen, das vielfach genutzt werden kann. BSC steht auch für die dezentrale Nutzung von Informationen und für das schnellere Verarbeiten von Wissen an mehreren Stellen. Mittelständlern fällt es meiner Einschätzung nach einfacher, grundlegende Veränderungen umzusetzen als Großunternehmen.
Eine Gefahr, sich in den Informationen zu verzetteln, besteht unabhängig von der Größe generell für alle Unternehmen. Insofern ist es gut, Ziele zu haben, diese zu verfolgen und in angemessenen Abständen zu überprüfen, ob diese noch valide sind. Das ist der Unterschied zwischen dem Verfolgen einer Strategie und der operativen Hektik.

10. Unserer Erfahrung nach ist es bei jeder strategischen Weichenstellung entscheidend, wie die Menschen die Veränderungen mitgehen und wie die Kommunikation gestaltet ist. Wie gehen Sie in der Praxis damit um, wenn Sie im Rahmen der BSC vorgegebene Strategien anpassen oder konkretisieren müssen, insbesondere wenn daraus unbequeme oder schwierige Umstellungen für das Unternehmen entstehen?

Es ist natürlich generell sinnvoll, über die Strategie zu sprechen bevor man sie umsetzen möchte. Möglicherweise besteht bereits eine BSC und die Strategie ändert sich durch äußere Veränderungen. Dabei ist das oberste Prinzip, dass man damit offen umgeht, d.h. die Menschen ernst nimmt und ihnen die Gründe für Veränderungen erklärt. Kurzfristig kann das Erläutern Zeit kosten. Aber wer Visionen und eine Strategie hat denkt langfristig. Und langfristig ist der Saldo immer positiv wenn man über Strategie spricht und gemeinsam mit den Mitarbeitern Ziele entwickelt, ganz besonders bei wissensbasierten Unternehmen.
BSC kann nicht verordnet werden. Damit entmündigt man Mitarbeiter, deren Einsatz ein Unternehmen dringend braucht. Vielmehr muss den Menschen Raum für Kommunikation gewährt werden, um das Instrument BSC und die damit verbundenen Veränderungen zu verstehen und nachhaltig umsetzen zu können.